28.01.2022

Verkehrswende - gerne! Aber was wird dann aus meinem Job?

Von Elena Kornettka

 

Die Halbierung des Pkw-Bestands, Kollektiv-, anstelle von Individualmobilität, Investitionen in ÖPNV anstatt in Auto-Förderungen. Forderungen nach einer sozial-ökologischen Mobilitätswende muten teilweise drastisch an, sind aber ebenso notwendig wie "radikal". 


Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, sind diese Maßnahmen unumgehbar. Auf Arbeitnehmer*innen, besonders in der Automobilbranche, wirken sie allerdings vielleicht erst einmal bedrohlich. 
Verschiedenen Berechnungen ergeben, dass bis 2030 eine Summe von 100.000 bis 450.000 Arbeitsplätzen der Transformation der Automobilindustrie zum Opfer fallen könnten. Diese Spanne ist groß, das Ausmaß zugegebenermaßen auch. Bei derzeit insgesamt 820.000 Beschäftigten wirkt diese empfundene Bedrohung also erstmal nachvollziehbar.


Was in dieser Drohkulisse jedoch gern hintenüberfällt: Steigerungen der Nutzer*innenzahlen in Nah- und Fernverkehr, Transformationsprozesse in der Produktion und die angepeilte Verdopplung des Radverkehrs bringen gleichzeitig positive Beschäftigungseffekte, die die vom Wegfall bedrohten Stellen kompensieren können.

 

Neue Arbeitsplätze durch Transformation

Ausgangspunkt sind, einer Studie der Rosa Luxemburg Stiftung (RLS) zufolge, zwei Szenarien, die die Angst vor der Arbeitslosigkeit durch die Mobilitätswende abmildern können:
In Szenario 1, der „moderaten Mobilitätswende statt einfacher Antriebswende“ werden Steigerungen der Fahrgastzahlen im ÖPNV und Bahnverkehr, sowie im Fahrradverkehr um den Faktor 2 angenommen. Szenario 2, in dem die Mobilitätswende „ambitioniert“ vonstattengeht, rechnet mit dem Faktor 2,5.
Für Szenario 1 können bis zu 214.000 neue Stellen geschaffen, in Szenario 2 sogar bis zu 430.000.
Je nach zeitlicher Abfolge und Ausmaß der tatsächlichen Umstrukturierung wird hier also möglicherweise sogar überkompensiert.


Natürlich sind dies alles Projektionen, die auf verschiedensten Annahmen beruhen und können durch weitere Faktoren zugunsten des tatsächlichen Volumens der neuen Arbeitsplätze noch einmal entsprechend anders ausfallen. Eine „kurze Vollzeit“ in Form von einer 30-Stunden-Woche würde das Gesamtpotenzial so beispielsweise noch einmal deutlich erhöhen.
Um das Ende des Verbrenners entsprechend zu kompensieren, bedarf es laut RLS dem massiven Ausbau anderer Mobilitätsansätze und einer ökologischen Umbaustrategie der Automobilindustrie. Diese sollte auf einem Geschäftsmodell basieren, das mit einer sozial gerechten und ökologischen Mobilitätswende kompatibel ist. Viele Beschäftigte in der Produktion glauben nicht an die Verbraucher*innensouveränität und an die Möglichkeit, durch das eigene Konsumverhalten gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, konstatiert eine Befragung von Beschäftigten durch die RLS.

Die Mobilitätswende entsteht auf vielen Ebenen

Die Mobilitätswende ist demzufolge nicht rein auf betrieblicher Wirkungsebene zu stemmen. Es benötigt eine progressive ökologische Klassenpolitik, die die Machtressourcen verschiedener Bewegungen zusammenführt. Beobachtet wird hier zurzeit ein ecological turn in den Gewerkschaften mit gleichzeitigem labour turn der Klimabewegung. In Befragungen ist außerdem zu sehen, dass die Identifikation mit dem Auto langsam tatsächlich abnimmt, ein Kulturwandel also vielleicht realistischer ist, als wir annehmen.


Wenn unterschiedliche, teils konträre Meinungsinhaber*innen zusammengeführt werden können, um gemeinsam zu wachsen und Überschneidungen, statt Unterschieden in den Fokus genommen werden, gibt es Potenzial für fruchtbaren Austausch, Innovation und zukunftsweisende Kollaboration. 
Insofern gilt es, weiterhin voranzugehen. Sowohl auf individueller Ebene sollte das eigene Mobilitätsverhalten hinterfragt werden, aber auch die eigene Vorbildfunktion sollte in den Fokus genommen werden. Sowohl als Unternehmen, das alternative Mobilitätsformen ermöglicht und erlebbar macht, als auch als Individuum, das die eigenen Beine als bevorzugte Mobilitätslösung einsetzt.


Jede*r hat das Potenzial, eine Veränderung mitzugestalten und dies ist ohne Angst vor Veränderung oder Verlust möglich! Für eine menschengerechte Zukunft braucht es Engagement, Mut und die Rückbesinnung auf einen genügsamen Lebenswandel.