19.07.2022

"Projekt Autofrei" geht in die Verlängerung

Von Elena Kornettka

 

Ich rolle immer noch auf zwei Rädern durch die Stadt. Ich genieße weiterhin die Freiheit und Flexibilität, die mir mein Fahrrad und Mobilität auf zwei Beinen bietet.

Selten habe ich auf einen Beitrag so viel Feedback bekommen. Von "Respekt für den Mut" über "Klar, in der Stadt geht das natürlich, auf dem Land aber nicht" bis hin zu "Alles elektrisieren klappt nicht, weil wir nicht genügend Rohstoffe haben" war alles dabei. Ich habe mich über jeden Kommentar gefreut. Über Input, Pläne und Kritik. Einige davon haben mich zum Nachdenken gebracht. Vielfach wurde das großartige Buch "Autokorrektur" von Katja Diehl erwähnt, gelesen, gefeiert.

So. Ich bin dann jetzt einmal mehr dankbar für das Angebot an Infrastruktur, das ich im städtischen Kontext nutzen kann. Das ÖPNV-Angebot (insbesondere mit dem 9-Euro-Ticket), Radwege, oder Carsharing erleichtern mir dort, wo ich wohne definitiv meinen Alltag. Wo das alles nicht selbstverständlich verfügbar sind, gibt es weiterhin große Hindernisse für Menschen, die abseits des (sub-)urbanen Raumes auf das eigene Auto verzichten wollen. E-Mobilität löst hier definitiv nicht alle Probleme, aber vielleicht ein paar: Stehen die notwendigen Lademöglichkeiten bereit, ist gerade der ländliche Raum prädestiniert für die Nutzung eines E-Autos. Eigene, oder mit den Nachbar*innen geteilte Wallboxen, kleine Ladeparks, oder Mobility Hubs (Mobilitätsstationen) ergeben gerade dort Sinn, wo einige Menschen in die gleiche Richtung müssen. Mobility Hubs können verschiedene Bedürfnisse zusammenbringen - Auto abstellen, laden, in die Fahrgemeinschaft einsteigen, morgen fährt jemand anderes. Diese Hubs könnten dann endlos weitergedacht werden: Paketstation, Einkaufsmöglichkeit, oder Café, Co-Working,… die Liste ist lang.

Woran scheitert's?

Die häufigsten Probleme, die sich den Kommentierenden in den Weg stellen? Fehlende Flexibilität, fehlende (Zuverlässigkeit von) ÖPNV, oder Kostengründe. Die ersten beiden (drei) Hindernisse sind lediglich mit Investitionen in entsprechende Angebote aus dem Weg zu schaffen. Bei dem Kosten-Argument teile ich die Meinung im E-Auto-Verbrenner-Vergleich nur teilweise: Leider gibt es hier schlichtweg Pfadabhängigkeiten, die dafür sorgen, dass sich für viele der sofortige Umstieg auf ein E-Auto zu teuer darstellt.

So werden beim Kostenpunkt üblicherweise die Neuanschaffungspreise verglichen. Ganz offensichtlich liegt hier der Neupreis eines Verbrenners trotz Förderungen für Elektroantrieb oft noch unter dem eines E-Autos, dies wird sich aber vermutlich schon in den nächsten Jahren egalisieren. Etwa 30-35% der Kosten eines E-Autos betreffen die Batterie. Der Antriebsstrang ist beim E-Auto deutlich günstiger, als der eines konventionellen Verbrenner-Wagens. Für die Zellherstellungskosten wird in den kommenden Jahren ein bedeutender Rückgang prognostiziert. Dieser kommt durch Lern- und Skaleneffekte in der Batteriezellproduktion zustande. Die Batteriekapazitäten nehmen gleichzeitig zu, sodass auch die "German Reichweitenangst" immer weniger bedrohlich ausfallen wird.

Spannend wird dann auch der Vergleich der "Total Cost of Ownership" (TCO). Hier werden Anschaffungs- und Nutzungskosten berücksichtigt. Hier liegt, trotz höherer Besteuerung von Strom im Vergleich zu Diesel und Benzin (!?) in Europa gerade bei mittleren bis großen Jahresfahrleistungen das E-Auto vor dem konventionellen Pkw mit Verbrennungsmotor. Es bleibt zu hoffen, dass die Politik über eine gezielte Steuer- und Abgabenordnungen die dringlich notwendigen Voraussetzungen schafft, um die E-Mobilität erschwinglich zu machen. Damit schlussendliche situative Mobilitätsbedarfe entsprechend erfüllt werden können. Der Betrieb eines Verbrennerautos wird hingegen sicherlich nicht günstiger werden - wer nicht hinterm Mond lebt wird diese Entwicklung in den letzten Monaten wohl mitbekommen haben…

Ganz eindeutig ist: Mit dem (eigenen) Verbrennerauto mobil zu sein ist ein Auslaufmodell. Ab 2035 dürfen Neuwagen kein CO2 mehr ausstoßen. Das klingt nach Verbrenner-Aus, ist allerdings eher ein Kompromiss geworden, der beispielsweise Autos, die mit E-Fuels betrieben werden, weiterhin erlaubt. Im Rahmen der Diskussion rund um das Klimaschutzpaket einigten sich die verantwortlichen Minister*innen nach diesem Einwand der FDP.

Und was war noch gleich mit den Rohstoffen?

"Jedes Auto elektrisieren ist wegen fehlender Rohstoffe nicht möglich" - davon abgesehen, dass es nicht das Ziel sein sollte, jedes Auto 1:1 mit einem elektrischen zu ersetzen, sondern vielmehr auch, die Anzahl von Autos *drastisch* zu reduzieren, ist die "Rohstoffknappheit" kein so großes Hindernis, wie Kritiker*innen gerne anführen. "Die weltweiten Vorkommen übersteigen den prognostizierten Bedarf meist deutlich, selbst wenn für andere Anwendungsbereiche parallel der Rohstoffbedarf durch mehr Nachfrage weiter steigt" sagt eine Studie der Agora Verkehrswende schon 2017 in Bezug auf die Verfügbarkeit der notwendigen Rohstoffe für die angestrebten Elektrisierungs-Ziele.

"Für 2050 prognostizieren diese Berechnungen einen globalen Bedarf für Lithium von 1 bis 1,3 Millionen Tonnen (höher als in bisherigen Studien – kumuliert 14 bis 20 Millionen Tonnen bis 2050), für Kobalt von 150.000 bis 250.000 Tonnen (deutlich weniger Bedarf durch Einsatz Kobalt-reduzierter Materialien, kumuliert 6 bis 9 Millionen Tonnen bis 2050) und für Nickel von 4 bis 6 Millionen Tonnen (etwas niedriger durch gegebenenfalls verfügbare Nickel-reduzierte Systeme, kumuliert 70 bis 110 Millionen Tonnen bis 2050). Da sich die terrestrischen Lithium Reserven auf 14 Millionen Tonnen und die Lithium-Ressourcen auf mittlerweile 62 Millionen Tonnen belaufen, stellt die Verfügbarkeit von Lithium auch weiterhin keine prinzipielle Gefahr dar. Für Kobalt liegen die Reserven bei 6,9 Millionen Tonnen und landgebundene Ressourcen bei 25 Millionen Tonnen."

Auch Recycling ist hier ein großes Thema, das ginge an dieser Stelle aber wohl etwas zu weit ins Rabbit Hole… Wer sich dahingehend interessiert, kann gerne hier mal vorbeischauen und den Beitrag zur Nachhaltigkeit von E-Mobilität lesen, kommentieren, kritisieren! ;)

 

Und jetzt?

Ich bleibe weiterhin beim Rad. Finde aber auch, dass situativ das E-Auto eine Alternative darstellen kann, wenn es notwendig ist. *Ob* und *wie* notwendig die Autonutzung weiterhin ist, liegt in den Händen der Entscheidungsträger*innen über Infrastrukturmaßnahmen und rechtliche Richtlinien. Hier geht es zwar voran, politisch sind die Schritte aber teilweise noch viel zu klein. Der Verkehrssektor ist der Bereich, den wir als individuelle Menschen am größten beeinflussen können. Jede*r einzelne ist also gefragt, das persönliche Mobilitätsverhalten immer wieder zu hinterfragen, Dinge auszuprobieren, neue Routinen zu finden, Experimente zu wagen.

Denn nur mit einem New Normal, das ökologisch und sozial verträglich ist, schaffen wir eine menschengerechte Zukunft.
Oder, wie jemand auf LinkedIn kommentiert: "Ein Lebensstil, der sich nur durch das Auto realisieren lässt, kann nicht gerecht gegenüber Umwelt und Gesellschaft weitergeführt werden."