06.01.2022

Female Mobility - Warum Mobilität ein feministisches Thema ist

Von Elena Kornettka

 

A day in the life

Kind 1 muss zur Schule, auf dem Weg noch eben Kind 2 in der Kita absetzen, Kind 3 ist im Maxikosi dabei. Von da aus weiter zum Supermarkt – durchatmen, wo parke ich, kann ich hier irgendwo das Auto laden? – 45 Minuten Pause einbauen, für den Kaffee mit der Freundin. Die Anreise zum Café ist mühsam. Kinderwagen aus dem Auto hieven, der Weg durch die Stadt wird zum Parkour sondergleichen. Kaffee austrinken, Rückreise zum Auto antreten… puh.


Sounds familiar? …möglich! 

Wobei: schon der Besitz eines Autos ist ein Privileg, das viele Frauen1 nicht genießen. 62% der Autos sind weltweit auf Männer zugelassen. Die eingangs skizzierte Wegstrecke würde sich für viele Menschen aus einer Odyssee von Wartezeiten, verpassten Busverbindungen und nicht-barrierefreien – und somit mit Kinder(wage)n nicht zu passierenden – Abschnitten zusammensetzen. Und dabei sprechen wir noch von einer Situation, die sich tagsüber abspielt.
Abends kommen noch weitere Hindernisse auf viele Frauen zu: Angst, Belästigung, Bedrohung. Sicherheit erfordert hier noch einmal ganz andere Maßnahmen als einen Fahrradhelm, oder den Sicherheitsgurt.


„Nachts spazieren gehen“, „im Dunkeln joggen und dabei laut Musik hören“, oder „um 3 Uhr morgens durch die Straßen tanzen, ohne Angst um mein Leben haben zu müssen“ antworten Frauen auf Twitter auf die Frage, was sie tun würden, wenn es für 24 Stunden keine Männer2 gäbe. Im Schnitt werden Frauen 10 mal so oft überfallen, wie Männer. Zudem haben 60% der Frauen ab 16 schon sexuelle Belästigung erfahren. Zum Vergleich. Für Männer liegt dieser Wert bei etwa 5%3.


2020 wurden knapp 50.000 „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ an Frauen gemeldet – und über 230.000 Delikte mit Körperverletzung, dazu kommen ca. 117.000 weitere „Strafteten gegen die persönliche Freiheit“, inklusive Raubüberfällen.
Natürlich können Infrastruktur und Sicherheitsmaßnahmen die Bedrohung mildern und so die Folgen des Problems immerhin abdämpfen – die Problemlösung liegt jedoch in Verhaltensänderungen der Verursacher. Da diese allerdings nur mühsam und teilweise vielleicht auch gar nicht umzusetzen sind, braucht es unbedingt infrastrukturelle Maßnahmen. Gendergerechte und zuverlässige Stadtplanung, die sichere Mobilität ohne Angst, Barrieren, und Gefahren ermöglicht ist Teil der Gleichung. 

Beschäftigungsstrukturen sind patriarchalisch.

Frauen, die statistisch gesehen nun immer noch häufiger in Teilzeit beschäftigt sind als Männer, oder gar nicht arbeiten, legen öfter kurze Wegstrecken über verschiedene Destinationen zurück. Sie verbringen somit einen großen Teil ihrer Zeit im Stadtbild, das es dementsprechend auf diese Bedürfnisse anzupassen gilt. 
Etwa 75% der unbezahlten Arbeit wird von Frauen erledigt. Ehrenamt, Sorgearbeit, Kinderbetreuung: All das resultiert in niedrigerem Einkommen und weniger Flexibilität – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Koordination von Schule, Hobbies und Vereinsleben der Kinder, Anforderungen der pflegebedürftigen Verwandtschaft und eigenen Bedürfnissen kann an sich schon eine Herausforderung darstellen – oh, und dann kommt ja ggf. noch die eigene Arbeit dazu.
Frauen haben komplexere Bedürfnisse an Mobilität und die Verkehrsmittel. So nutzen sie tendenziell vermehrt unterschiedliche, auf das akute Mobilitätsbedürfnis angepasste Fortbewegungsmittel (multimodal) und wechseln auch innerhalb einer Wegstrecke je nach Bedarf (intermodal). Zudem sind oft Kinder, Begleitpersonen, Einkäufe, oder Gepäck dabei.


Fun Fact: Multimodalität und Intermodalität sind Teile des Zukunftsbildes, für das die GLS Mobilität plädiert. Nur durch die Verbindung verschiedener Systeme kann die Verkehrs- und Mobilitätswende klimaschonend und nachhaltig umgesetzt werden. Die entsprechenden Infrastrukturen zu schaffen ist demnach also nicht nur feministisch, sondern auch nachhaltig und zukunftsweisend für eine menschengerechte Zukunft für alle.

In der Stadtplanung sind Wegstrecken und Mobilitätssysteme oft sternförmig gedacht, um Heimats- und Arbeitsort miteinander zu verbinden. Wege, die dazwischen liegen sind – jedenfalls mit dem ÖPNV, zu Fuß oder dem Rad – nur beschwerlich zu erreichen. Grundsätzlich nutzen Männer das Auto häufiger als Frauen. Berufstätige Frauen legen außerdem oft weniger Kilometer zurück, als Männer, um zu ihrem Arbeitsort zu gelangen, sind aber etwa gleich lange unterwegs. Dies liegt z.B. daran, dass Frauen sich eher Berufe im Umfeld des Wohnorts suchen, um die unbezahlte Arbeit erledigen zu können.
Menschen, die dieser unbezahlten Arbeit nachgehen, haben dann noch einmal ganz andere Bedürfnisse: Insbesondere die Kombination von bezahlter Arbeit und Pflegeaufgaben erfordert Koordination und schafft Zeitdruck durch feste Time-Slots, und viele Zwischenstopps, die einzuhalten sind. Das Mobilitätssystem ist für diese Anforderungen schlichtweg nicht ausgelegt – unabhängig vom Verkehrsmittel. Shared Services sind hier oft nicht alltagstauglich, zu teuer, oder intransparent. Es fehlt dann beispielsweise die Sitzschale für’s Kind im Carsharing-Wagen, Stauraum für verschiedene Taschen oder die notwendige digitale Infrastruktur für die spezifischen Nutzungsmuster und benötigte zeitliche Spielräume.

Nachts im Park – Verkehrsplanung von Männern für Männer

Wie oben bereits eindrücklich dargestellt verändert auch die Tageszeit die Mobilität. Die Physis macht Frauen vielen Männern unterlegen, „weshalb potenzielle Konfliktsituationen mit körperlicher Auseinandersetzung als bedrohlich wahrgenommen werden. Die Wahl von Transportmitteln, Verbindungen und Orten [werden von Frauen] sehr auf den Aspekt der Sicherheit ausgerichtet“ und erfordern ein hohes Maß an detaillierter Planung.
1 von 3 Frauen fühlt sich im öffentlichen Raum und im ÖPNV unsicher – und das nicht nur aus soziodemographischen Gründen, sondern auch schlichtweg zurecht. Insbesondere kleine Frauen sind besonders gefährdet, sich im Straßenverkehr zu verletzen. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Unfall eine mittelschwere Verletzung davonzutragen ist für Frauen 71% höher als für Männer. Unter anderem, da Crashtest-Dummies durchschnitts-männliche Modelle sind. Allein durch ihre spezifische Physiognomie haben Frauen andere Bedürfnisse an Fahrzeuge als Männer. Sie haben tendenziell kürzere Arme und Beine als Männer, haben eine Brust, rundere Körper, you name it. All das verändert die Anforderungen an entsprechende Verkehrsmittel entsprechend.


Die letzte Meile – also der Weg von der letzten U-Bahn-Station/Bushaltestelle/… zur Haustür – wird abhängig von Faktoren wie Umgebung (Abkürzung durch den Park vs. Umweg über beleuchteten Straßenabschnitt), oder eben Weglänge, usw. gestaltet. Hierzu gehören auch regelmäßig die „Bewaffnung“ mit dem Haustürschlüssel in der Faust, Pfefferspray, oder anderen Helfern, die Sicherheit versprechen.
In den Niederlanden sind Fahrradgaragen und Radabstellanlagen an S- und U-Bahnhöfen bewacht. 15 Minuten vor Eintreffen des ersten Zuges am Morgen öffnen die Anlagen. Das Überwachungspersonal bleibt bis 15 Minuten nach Abfahrt des letzten Zuges am Tag vor Ort. Von Angeboten wie diesen profitieren aber natürlich nicht nur Frauen, sondern auch Männer, Senior*innen, oder Jugendliche, also sämtliche Personen mit dem Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz.


Auch Paris mit der 15-Minute-City, oder Barcelona mit den dortigen „Superblocks“ gehen als Metropolen mit gutem Beispiel voran und zeigen, dass es auch anders – und besser – geht.
In Kanada wird die gefühlte Sicherheit in Bezug auf Radinfrastruktur abhängig von der Nutzung derer durch Frauen bewertet. Nutzen weniger Frauen als Männer das Rad in der Stadt, liegt es meist an fehlender Sicherheit. 
Dies betrifft allerdings bei weitem nicht nur die Radinfrastruktur, sondern auch Shared-Mobility oder Mobility as a service. In entsprechenden Apps sollten Angebote ausgespuckt werden, die Zwischenstopps mitdenken und verschiedene Fahrzeuge für die jeweiligen Wegstrecken unter Berücksichtigung von Kriterien wie Zeit, Kosten, oder CO2-Abdruck vorschlagen. 

Lösungsansätze

„Affordable, Effective, Attractive, Sustainable, Inclusive“ sollte Mobilität sein, sagt Cathleen Schöne von der TU Ilmenau im Vortrag zu gendergerechter Mobilität. Erfüllt die Stadtplanung diese Kriterien, kommt dies allen zugute. Mobilitätseinschränkungen durch fehlende Barrierefreiheit gilt es zu beseitigen, Sicherheit muss gewährleistet werden. Infrastrukturen, die Zugang und Anbindung ermöglichen sind hierbei essenziell. Das Prinzip der Stadt als Ort der Kommunikation und des Zusammenkommens ist in den letzten Jahren durch Globalisierung, Digitalisierung, oder Lieferservices wie Lieferando, Gorilla, usw. verloren gegangen. Kommunikation gehört zum Leben und kann Orte im Zuge nachhaltiger Stadtplanung bereichern. „Teilen statt Besitzen“ ist ein Konzept, das heutzutage in Form von Carsharing-Diensten wohl am präsentesten ist, allerdings genau so gut funktionieren kann, wenn es um grundsätzliche Besitztümer geht, die im Sinne der Nachhaltigkeit geteilt, anstatt individuell angeschafft und genutzt werden (Autos, Fahrräder, Werkzeuge, Nahrung, Utensilien,…). „Trends“, wie Urban Gardening, die über Aktionen gestaltet werden, die teilweise als Guerilla-Maßnahmen geframed werden, sind im weitesten Sinne Kommunikation. Sie ermöglichen Aufenthaltsqualität im Stadtbild, von der jede*r profitiert.

Warum Giro-e ein feministisches Produkt ist

Elektromobilität als Alternative zum Auto mit Verbrennungsmotor kann eine klimaschonendere Möglichkeit darstellen, um unabhängige Individualmobilität zu ermöglichen. Im Sinne der Nachhaltigkeit geht es hier allerdings nicht darum, jedes Auto mit Verbrennungsmotor mit einem E-Auto zu ersetzen – ganz im Gegenteil. Weniger Autos auf den Straßen, ÖPNV und Radwegeinfrastruktur sind Maßnahmen, die vor allen anderen greifen müssen, damit klimaschonende Mobilität geschaffen und die Klimaziele eingehalten werden können, die für eine menschengerechte Zukunft notwendig sind. Da die nötigen Investitionen und Anreize jedoch noch nicht in dem benötigten Maß vorhanden sind, muss gleichzeitig Ladeinfrastruktur mitgedacht werden. Derzeit führt das Fehlen von ausreichenden Lademöglichkeiten zum „Henne-Ei-Problem“ für Elektromobilität. Niemand investiert gerne in ein Elektroauto, wenn sie*er befürchtet, nicht laden und somit weniger mobil zu sein als mit dem Verbrenner. Ohne ausreichend Elektroautos, die Ladepunkte in Anspruch nehmen, bleiben Investitionen in Ladeinfrastruktur allerdings weit hinter dem Level zurück, das nötig wäre, um komfortable Elektromobilität zu gewährleisten.


Ladepunkte an Orten mit Verweildauer (Arbeitsplatz, Einzelhandel, Schwimmbäder) und zu Hause sind Schlüsselfaktoren zu klimaschonender Mobilität, die intelligentes Laden und barrierefreie Elektromobilität begünstigen.
Neben fehlender Ladepunkte ist auch die Handhabung oft mit Hürden besetzt: Verschiedene Apps, Lade-, oder Flottenkarten für die jeweiligen Ladestationen oder Anbieter machen den Ladevorgang oft beschwerlicher als nötig.
Mit Giro-e benötigt man hierzu lediglich die Girokarte ( - bald wird auch die Kreditkartenzahlung in gleicher Weise möglich sein). Abbuchung und Rechnungserstellung erfolgen über das Lastschriftverfahren.


Auch hier gilt es, die Bedürfnisse aller Menschen mitzudenken. Ladezeiten und -orte von Frauen unterscheiden sich deutlich von berufstätigen Männern. Während diese vornehmlich am Arbeitsort, oder zu Hause laden können, sollten für weibliche Anforderungen flächendeckend Lademöglichkeiten implementiert werden. Gerade weil Frauen eher viele kurze Strecken zurücklegen, bietet sich die Elektromobilität also als Alternative zum eigenen Auto mit Verbrennungsmotor an, wenn das Lastenrad, oder das ÖPNV-Ticket aufgrund fehlender Anschlussmöglichkeiten nicht in Frage kommen.

Grundsätzlich sind zuverlässige, effiziente und elegante Mobilitätslösungen nötig, um die Diversität von Menschen und deren Bewegungsmustern zu wertschätzen und zugängliche Mobilität zu ermöglichen. Ob Frauen, oder Männer, große Menschen, kleine Menschen, jung, oder alt. Jede*r sollte bei der Stadtplanung berücksichtigt werden, vor allem, weil dies im derzeitigen Stadtbild noch nicht ausreichend der Fall ist. 
Es braucht Diversität in Daten und Angeboten, um die Diversität der Menschen, die von jenen profitieren abzubilden und den Anforderungen gerecht zu werden.
Worte sind der Beginn von Politik – und genau diese politischen Rahmenbedingungen braucht es jetzt, um noch eine schöne Weile auf einer grünen, sicheren Welt ohne Bedrohung und Diskriminierung zu leben.
 

 

1 In diesem Beitrag schließe ich mit „Frauen“ sämtliche Menschen ein, die sich als FLINTA* identifizieren, also als jene, die von „patriarchalen Strukturen in der Gesellschaft diskriminiert und unterdrückt“ werden. 
2 Auch hier gilt: In keinem Fall möchte ich, bzw. sollte man alle „Männer“, bzw. männlich gelesenen 
Menschen über einen Kamm scheren. Hier geht es lediglich um strukturell manifestierte Machtstrukturen, die durch das Patriarchat in erster Linie Frauen, bzw. FLINTA* schaden.
3 So lautet jedenfalls die Statistik. Die Dunkelziffer liegt hier mutmaßlich deutlich höher. Viele Frauen sind sich des Tatbestandes des sexuell übergriffigen Verhaltens schlichtweg nicht bewusst, oder bringen jenes aus Scham, oder anderen Gründen, nicht zur Anzeige.


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